Daniel Kunert - Musik-Medienhaus
Das Portal der Königin

- Startseite - Orgeln - Calw - Neuap. Kirche


Die Orgel der Neuap. Kirche Calw

Disposition
Konzeption

Disposition

erbaut 2022 von Andreas Schmutz, Römerstein-Donnstetten

I Hauptwerk II Solowerk Pedal
Viola da Gamba 8'   Subbaß 16'
Bourdon 8' WS Bourdon 8'  
Flaut Travers 8' WS Flaut Travers 8'  
Principal 4'
   
Flaut Dus 4' WS Flaut Dus 4'  
Octav 2' Quinte 2 2/3' (VAZ)  
Mixtur 1' 3fach Cornett 3fach  

Koppeln: II/I; I/P; II/P
Art der Traktur und Laden: mechanisch/Schleiflade

Konzeption

Ausgangspunkt der Konzeption einer Orgel ist immer der Raum, für den das Instrument gedacht ist, – und das zur Verfügung stehende Budget. In Calw war bei den ersten Überlegungen ein Kirchenraum mit zuschaltbaren Nebenräumen vorgesehen, der von ungefähr 200 Sitzplätzen auf ca. 300 hätte vergrößert werden können. Daher wurde in der Konzeption zunächst ein Instrument mit dreifach besetzter 8'-Lage, aber Verzicht auf einen Prinzipal 8' und einem Ausbau der Disposition bis zu einer vierfachen Mixtur und kräftigem Aliquotklang vorgesehen, die dann auch die Fülle für einen vergrößerten Raum bringen sollten. Zusätzlich war eine Verteilung der Register über Wechselschleifen auf zwei Manuale angedacht, die durch eine Subkoppel II/I noch einen Prinzipal 8' aus der Oktavierung des 4' ermöglicht und so bei geöffneten Nebenräumen ein entsprechendes Fundament bieten hätte können. Gleichzeitig war über die dreifache Besetzung der Äquallage und die Oktavierungen der 4'-Stimmen eine reiche Farbenpalette für das liturgische Spiel vorgesehen.

Die Planungen zur Kirche konkretisierten sich, die Nebenräume sollten nur noch durch Glaswände optisch zuschaltbar werden, aber nicht mehr vollständig zum Kirchenraum hin zu öffnen sein. Dadurch entfiel die Notwendigkeit in der Orgelkonzeption, auf größere akustische Anforderungen reagieren zu müssen. Auch aus Gründen der Einhaltung des Budgets wurde daher die Oktavkoppel gestrichen und auf einige Wechselschleifen verzichtet. Es blieben jedoch die Mixtur und das Cornett, jeweils mit Vorabzug des tiefsten Chors, und die dreifache Besetzung der 8'-Lage. Neben ein Gedeckt und einen kräftigen Streicher, die zusammen eine stabile Basis für das Plenum bilden sollten, trat eine charakteristische überblasende Flöte, eine Traversflöte 8'. Der Gedanke, den dritten Klang in Äquallage überblasend zu wählen, wurde durch spätbarocke Vorbilder in Thüringen und auch im badischen Raum angeregt. Damit war auch eine gewisse stilistische Ausrichtung vorgegeben.

Während der Erstellung des Angebots stieß Orgelbaumeister Andreas Schmutz auf ein Instrument, das Andreas Ubhauser 1806 für das Schwetzinger Schloß baute (siehe Bernd Sulzmann, Die Orgel der Schloßkapelle zu Schwetzingen, AOl 9 (1975), S.166-193). Dieses enthält fast die identischen Register, wie sie in Calw vorgesehen waren, nur eben auf einem Manual und mit einer Zungenstimme statt eines Cornetts.
Nach der Entscheidung für das Angebot der Firma Schmutz wurde die Orgel in Schwetzingen besichtigt und einige weitere Details in die Planung der Orgel integriert. So wurde etwa die Mixtur in Verbindung mit dem prinzipalischen 2' nach dem Vorbild von Ubhauser angelegt: Der Vorabzug aus den 4 Chören der Mixtur entfiel, der 2' wurde selbständig und die Mixtur nur noch 3fach. Dazu sollte der 2' im Diskant wie im Schwetzinger Vorbild recht kräftig, die Mixtur dagegen nach jeder Oktave oktavrepetierend, also mit geradem Plafond statt dem heute allgemein üblichen ansteigenden Plafond angelegt werden.

Der Kirchenraum in Calw ist u.a. mit absorbierendem Putz an der Altarwand versehen, wodurch eine deutliche Verstärkung der Baßlage im Klang der Orgel nötig ist. Anders als in den spätbarocken-frühromantischen pfälzischen Vorbildern, etwa von Wendelin Ubhaus, Duttweiler (frdl. Mitteilung von Gero Kaleschke) und auch in Schwetzingen im Original wohl so vorhanden gewesen, ist daher die Viola da Gamba 8' nicht in der tiefen Oktave als 4' gebaut (repetierend ab c° auf 8'), sondern in voller Länge bis C als 8'. Das Cornett, das einen Ersatz für die in Schwetzingen vorhandene Zungenstimme bildet, beginnt dafür auf C mit 1 1/3', 1' und 4/5' eine Oktave höher und gibt so dem Baß Helligkeit und Transparenz. Zur Melodielage ab g° repetiert das Cornett dann auf 2 2/3', 2' und 1 3/5' und liegt damit ab c'' sogar über der Mixtur, die nach Vorbildern aus der Pfalz ab c'' ohne weitere Repetition eine Zusammensetzung von 8', 5 1/3', 4' aufweist.

Bei der Gestaltung der Klanglichkeit nahmen wir Anregungen aus dem pfälzischen und kurpfälzischen Orgelbau um 1800 auf, daher wurden auch die Mensuren in Anlehnung an Mensuren von W. Ubhaus (frdl. Mitteilung von Gero Kaleschke) und A. Ubhauser (nach Bernd Sulzmann, bzw. eigene Überprüfung, mit Dank an Heinz-Georg Saalmüller) erstellt.

Eine genaue Kopie einer spätbarocken Orgel wurde nicht angestrebt, die Schwetzinger Mensuren wurden abgewandelt und auf den Raum und die individuelle Disposition angepaßt. Geblieben ist jedoch die klangliche Positionierung zwischen Spätbarock und Frühromantik: Entstanden ist so ein sehr farbenfroher, differenzierter und dabei doch weicher Klang.

Einige Entscheidungen der Mensuration bildeten eine Herausforderung für die Intonation. So sollte die Gamba keine Bärte bekommen und die Traversflöte auch bei einem entspannten Winddruck sicher überblasen. Die Grundstimmen wurden damit auf möglichst verschiedene Klangfarben und auch Ansprachecharaktere verteilt. Der Bourdon mit langen Röhrchen spricht weich, aber schnell an. Die überblasende Flaut Travers geht in den ersten Teilton, was eine Ansprache zeitlich leicht nach dem Bourdon ergibt. Die langsamste Ansprache besitzt die Viola da Gamba. Auf diese Weise ergänzen sie sich zu einem weichen und weich ansprechenden Gesamtklang im Grundstimmenplenum.

Dabei weicht die Viola da Gamba 8' etwas von der barocken Bauweise ab, da sie nicht genau den Weitenmaßen des Principal 4' folgt, sondern ein wenig weiter ist. Durch den Verzicht auf die Bärte behält sie dabei aber die extrem langsame Ansprache und den rauen Obertonanteil, der von einem barocken Streicher zu erwarten ist.

Der Bourdon 8' wurde in Anlehnung an französische Vorbilder mit sehr langen und im Durchmesser weiter werdenden Röhrchen angelegt, damit er wie in der klassischen französischen Orgel üblich mit dem Cornett sehr gut zu einem auch mehrstimmig verwendbaren Klang verschmelzen kann.
Die Flaut Travers 8', in der Baßoktave gemeinsam mit dem Bourdon, wechselt von dieser gedeckten Bauweise über offene, innenlabierte Holzpfeifen zu einer überblasenden Metallflötenbauweise, die trotz eines niedrigen Winddrucks von 65 mm WS klar anspricht.

Der Principal 4' besitzt wie die Gambe keine Bärte und gibt einen entspannt- markanten und fülligen Klang, der gut zur Führung des Gemeindegesangs verwendet werden kann.

Die Flaut Dus 4' in Metall ist bis h' gedeckt mit gerundeten Oberlabien, dann in offener Form gebaut. Anders als ihr Vorbild in Schwetzingen ist sie allerdings im Diskant zylindrisch und nicht konisch.

Die Mixturzusammenstellung ist mit Oktavrepetition angelegt, der tiefste Chor repetiert damit vom 1' bei C auf 2' bei c°, dann 4' bei c' und 8' ab c''. Das entspricht einem flachen, gleichbleibenden Plafond, einer gleichbleibenden maximalen Höhengrenze in der Mixtur, die dadurch den Baß kräftig aufhellt, im Diskant nicht scharf aber mit dem Quintchor auf 5 1/3' sehr kernig ist. Ab c'' bildet die Mixtur sogar mit einem prinzipalischen 8' die Grundlage des Klanges. Schon ab der eingestrichenen Oktave übersteigt das Cornett mit seinem Terzchor den höchsten Chor der Mixtur. Ab c'' liegt auch die Octav 2' höher als die Mixtur. Diese Konzeption der Mixtur in Verbindung mit der Octav 2' ist identisch aus den Vorbildern von A. Ubhauser, Schwetzingen (1806) und W. Ubhaus, Duttweiler (1836) übernommen.

Die Octav 2' steigt daher im Diskant auch an. Ursprünglich war der 2' als Vorabzug geplant, wurde aber doch selbständig gebaut. Erst mit einer selbständigen Octav 2' konnte die Mixtur nach dem Vorbild Schwetzingen angelegt und die Octav zur Ergänzung der Mixtur im Diskant werden.
In gewisser Weise dient das Cornett 3fach, dessen Quinte vorab gezogen werden kann, als sehr deutlich färbender Ersatz für das Zungenregister. Gerade durch den Vorabzug, der solistischen wie auch der akkordischen Verwendung des ganzen Registers ist das Cornett vielfältiger einsatzbar als eine Zunge. Im Baß ist es als 1 1/3', 1', 4/5', gebaut und repetiert zur Melodielage ab g° auf 2 2/3', 2', 1 3/5'. Dadurch wird der im Kirchenraum stark absorbierte Baßbereich gestärkt. Zudem ist das Cornett eine Ergänzung und Stärkung der Mixtur, die an anderen Stellen repetiert und im Diskant auch tiefer liegt als das Cornett.

Im Pedal ergänzt der Subbaß 16' den Baßbereich, die Manuale können zur Verstärkung des Pedals angekoppelt werden.

Die Orgel ist mit rein mechanischen Spiel- und Registertrakturen und mit modernen Schleifladen ausgestattet. Da die Kirche durch Heizung und Lüftungsanlage ein schwieriges weil trockenes Innenraumklima erwarten ließ, sind sowohl in den Windladen wie auch in den Wellenbrettern nur abgesperrte Massivhölzer verwendet worden. Auch wenn dadurch möglichst dauerhafte Schäden durch Trockenheit vermieden werden sollen, ist es nötig im Winter eine zu trockene Raumluft zu befeuchten. In der Mechanik sind zwar möglichst harte und beständige Hölzer verwendet worden (Wellen aus Birnbaum, Winkel aus Hainbuche), doch jedes natürliche Material reagiert auf extreme Luftfeuchtewerte.

Das kastenförmige Gehäuse ist der Einpassung in die moderne Architektur in schlichten Formen und hellen Materialien geschuldet. Der Pfeifenprospekt – mit einem flächigen Pfeifenfeld wie das Vorbild in Schwetzingen und mit einem tieferen Innenbereich ähnlich dem niedrigeren Mittelturm bzw. dem Mittelfeld der Vorbilder von Ubhaus und Ubhauser – erhält seine Eleganz gerade durch die Pfeifen mit eingedrückten statt eingelöteten, bartlosen Labien. Einerseits zur stabilen Realisierbarkeit der Prospektpfeifen, andererseits darin noch mit der Möglichkeit, einen natürlichen Tonhöhenverlauf in den Längenunterschieden der Pfeifen erkennbar werden zu lassen, sind die Prospektpfeifen auf die nötige oder praktikable Länge abgeschnitten und nach oben durch Rohre in gleicher Stärke fortgeführt. Der Prospekt sollte flächig mit geradem oberen Abschluß, aber ohne sichtbares Gehäuse, ohne Gesims oder Kranz ausgeführt werden.

Der Spielbereich in der Mitte des Unterbaus und alles, was durch Organistin oder Organist Berührung und Abnutzung ausgesetzt ist, ist in harter Eiche (Mehrschicht) gehalten. Das Gehäuse mit weiß gestrichenem Tannenfurnier ist der Ausstattung der Kirche angepaßt. Die Registerschilder aus Porzellan bilden einen farblichen Übergang zwischen Tanne und Spielbereich aus Eiche.

Mit dieser Konzeption kann ein weites Spektrum an Klangkombinationen verwirklicht werden: Ein Grundstimmenplenum, ein mildes Mixturenplenum in verschiedenen Formen und ein klassisches, französisch inspiriertes Cornett ermöglichen vielfach Literatur von Barock bis ungefähr Mitte 19. Jahrhundert. Insbesondere für den liturgischen Gebrauch im Gottesdienst sind damit ein farbiges Spiel und abwechslungsreiche Registrierungen sowohl für das leise Spiel als auch zum Gemeindegesang realisierbar. Durch den relativ niedrigen Winddruck 65 mm wird der Klang als sehr entspannt wahrgenommen, die ungleichstufige Temperierung nach Vallotti fördert die Farbigkeit der Orgelmusik und die Verschmelzung der Aliquotregister.

Innerhalb der Orgellandschaft der Neuapostolischen Kirche ist so ein individuelles und einzigartiges Instrument entstanden, das nicht eine Stilkopie darstellt, dessen besondere Charakteristik vielmehr von Vorbildern aus Pfalz und Kurpfalz im Übergang vom Spätbarock zur Frühromantik inspiriert ist.

Andreas Ostheimer



mit freundlicher Genehmigung von Andreas Ostheimer
Fotos: Andreas Ostheimer
OI-C-47

weiterführende Links:

Webseite der Kirchengemeinde