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Beethoven auf der Orgel

Herausgeber/Bearbeiter: Karl-Peter Chilla
Verlag: Strube

Beethovens 250. Tauftag am 17.12.2020 ist natürlich ein Anlass, sich nach seinem Orgelwerk umzuschauen, immerhin war der Meisterschüler des Bonner Hoforganisten Christian Gottlob Neefe bereits seit 1781 dessen Stellvertreter. Die allererste Nachricht vom Orgel spielenden Ludwig haben wir von einem Besuch der Abtei auf dem Michaelsberg in Siegburg, wo er schon als 10-jähriges „Wunderkind“ die Orgel einmal bespielt haben soll. Der Spieltisch der Orgel, an der Beethoven die Frühgottesdienste in seiner Taufkirche St. Remigius (1800 durch Blitzschlag zerstört) seit 1781 spielte, ist im Beethovenhaus in Bonn erhalten, er zeigt drei Manuale (Umfang C – d3, Pedal C – d1) und 33 Manubrien. 1784 bis Ende 1786 war Beethoven besoldeter zweiter Hoforganist, also in der Schlosskirche tätig, ehe Kurfürst und Erzbischof Maximilian Franz von Habsburg ihn nach Wien zur Ausbildung bei Mozart schickte. Wegen des nahen Todes der geliebten Mutter aber musste er bereits drei Monate später wieder nach Bonn zurückkehren. 1792 schickte ihn der Kurfürst erneut nach Wien, dieses Mal zu Haydn.

Nur weniges aus seinem Bonner Frühwerk ist überliefert, darunter ein zweistimmiger Fugenversuch in D-Dur im Allabreve-Takt (WoO 31, 1783), offenbar ein Zeugnis seines Studiums bei Neefe (Chilla S. 26). In seinen Klavierwerken finden sich noch drei Stücke, die durch ihre Titel eine Verwendung auf der Orgel nahelegen: die zwei Praeludien durch alle Tonarten (op. 39, 1789), bei denen sich das Pedal bei den Orgelpunkten am Ende wie bei der Fuge WoO 31 anbietet, und das Praeludium f-Moll (WoO 55, Wien c 1803), eine hochinteressante Komposition, in der Beethoven auf ganz hohem  kontrapunktischen Niveau arbeitet (alle drei Stücke nicht bei Chilla). Im Hess-Verzeichnis der Werke Beethovens finden sich unter den Nummern 233ff noch Kontrapunktstudien, unter ihnen etliche Fugen im strengen Kontrapunkt, drei Choralfugen, fünf vierstimmige Doppelfugen und zwei vierstimmige Tripelfugen, die seinen Studienjahren in Bonn entstammen werden (alle nicht bei Chilla). Weitere in irgendeinem Orgel-Geist gedachte Klavierwerke sind nicht verzeichnet.

In Wien kam er nur noch einmal in Kontakt mit Orgelpfeifen: ganz herausragend sind seine fünf Kompositionen für die Flötenuhr (WoO 33, 1799) für das Kabinett des Josef Graf Deym, von denen Chilla nur die Nr. 2 und 3 (S. 28ff) aufgenommen hat. Ein weiteres erhaltenes Flötenuhrstück ist der Grenadiermarsch, der Teile aus dem Bläsersextett (WoO 29, 1798, nicht bei Chilla) verwendet.

Drei Trios (nicht bei Chilla) sind noch unter dem Namen Beethovens überliefert, deren Zuschreibung aber zu bezweifeln ist. Trio g.Moll (Moderato), Trio es-Moll (Poco adagio) und Trio e-Moll (Allegretto) finden sich auch nicht in irgendeinem Werkverzeichnis, vermutlich entstammen sie einer früheren Epoche, ihre Satzqualität und Klangschönheit rücken sie in die Nähe Carl Philipp Emanuel Bachs. Damit hat es um Beethovens Orgelwerke bis jetzt jedenfalls sein Bewenden.

So bleibt der reiche Schatz an Bearbeitungen der Werke Beethovens für Klavier u.a. Instrumente, im 19. und 20. Jahrhundert die Vorläufer von Rundfunk, Schallplatten und CDs, etwas später folgten solche auch für Orgel. Diese Tradition nimmt Chilla mit seiner Ausgabe auf. Als besonders klangschön hebt er seine Bearbeitung des Adagios Es-Dur für Mandoline und Cembalo (WoO 43b, Prag 1796, Chilla S. 33) hervor, im Wesentlichen überträgt er den Notentext getreu, muss nur die Bassnoten unterhalb C streichen. Ebenso verfährt er bei der Bagatelle c-Moll (WoO 52, 1797, Chilla S. 50), bei der er in den Schlusstakten wirkungsvoll das Thema im Pedal ergänzt. Einige Stücke sind um des leichteren Studiums willen transponiert, das Allegretto (WoO 61, 1821, Chilla S. 53), hier falsch mit „Intermezzo“ tituliert, von b-Moll nach a-Moll, der Sehnsuchts-Walzer (Anh. 14,1, o.J., Chilla S. 68) von As-Dur nach G-Dur und der Schmerzens-Walzer (Anh. 14,2, Chilla S. 66) von f-Moll nach d-Moll. Der Eingangssatz aus der Mondscheinsonate (Op 27,2, 1801, Chilla S. 6/10) steht in d-Moll statt in cis-Moll, der langsame Satz der Pathétique (op. 13, 1799, Chilla S. 4) in G-Dur anstelle As-Dur, er ist in doppelten Notenwerten notiert.

Einen echten Gewinn bedeutet die Übertragung des originalen Marsches für Bläsersextett B-Dur (WoO 29, 1798, s.o.), den Chilla als einzigen der vielen Militärmärsche Beethovens hier aufgenommen hat. Die 7 Variationen über „God save the King“ (WoO 78, 1820, Chilla S. 58), ohnehin unterhaltsam, haben natürlich in einer solchen Ausgabe ihren Platz, genauso die Variationen über „See the conquering hero comes“ aus „Judas Maccabäus“ (WoO 45, 1797, Chilla S. 38) für Violoncello und Klavier, wobei die Einarbeitung der Cellostimme in einen Manualiter-Orgelsatz aber so kompliziert war, dass von den 12 Variationen nur 6 übrigblieben, denen die Cellotöne zumeist fehlen. Hätten sie nicht ins Pedal gesetzt werden können?

Die Bearbeitungen der langsamen Sonatensätze aus der Pathétique (s.o.) und der Mondscheinsonate (s.o., in zwei Fassungen pedaliter und manualiter), bereits vielfach vorgelegt, haben da eher einen Beigeschmack, wirkt doch der Verfremdungseffekt vom Fortepiano auf die Orgel eher als ein musikalischer Verlust! Das gilt erst recht für die Violinromanze F-Dur (Op 50, 1798, Chilla S. 16), die im Original sehr gefühlsbetont daherkommt, was eine Orgel so aber nicht leisten kann. Gesucht ist auch die Bearbeitung der beiden Rondos in C-Dur (Op 51,1, 1797, Chilla S. 17, und das frühe WoO 48, 1783, Chilla S. 46), die auf dem Fortepiano verzaubern können, auf der Orgel leider nicht. Beethoven war eben ein ausgesprochener Pianist, was die Suche nach orgelgemäßen Stücken sehr erschwert, bzw. nahezu unmöglich macht.

Chilla bringt die Werke in keiner chronologischen Reihenfolge, verschweigt überhaupt die Entstehungsdaten, sondern in der fiktiven Reihenfolge der Opusnummern. Auch fehlen wichtige Vortragsbezeichnungen, z.B. alle Artikulationsbögen, bei WoO 31 der Tempohinweis „In geschwinder Bewegung“, bei WoO 52 ist die Tempobezeichnung „Presto“ zu „Allegro“ verfälscht. Dem langsamen Satz der Pathétique mit der Satzbezeichnung „Adagio“ fehlt das „cantabile“. Die Flötenuhrstücke tragen eine falsche Zählung (1 und 2 statt 2 und 3), ebenso der Schmerzenswalzer, der mit Anh. 14,3 statt 14,2 bezeichnet ist. Das kurze Vorwort vermerkt die Unechtheit der beiden Walzer nicht.

So ist die Ausgabe  weniger durch eine verantwortungsvolle Herangehensweise geprägt als vielmehr durch die Absicht, mit leichter Hand eine Beethoven-Ausgabe mit „Ohrwürmern“ auf den Markt zu bringen. Wie immer bei Strube ist der Notensatz problemlos zu lesen, die Wendestellen gut durchdacht. Der Schwierigkeitsgrad ist meist relativ leicht, womit Verlag und Herausgeber implizit werben. Was würde Beethoven sich da denken?


Rainer Goede - für www.orgel-information.de
März 2020 / Juni 2020


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