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Petrali - Organ Music

Interpret: Paolo Bottini
Doppel-CD
Label: Brilliant


Wer kennt Vincenzo Antonio Petrali? Warum kennt man auch so viele seiner damaligen Organistenkollegen heute nicht mehr? Zwar steht heute in fast jeder Hochschule eine altitalienische oder spanische Orgel, was verdienstvoll ist, aber die Instrumente der Familie Serassi und Linghiardi und die dazugehörige Musik, sei sie opernhaft, Bandamusik oder dem Cäcilianismus verhaftet, verkörpern einen völlig anderen Orgeltyp mit der ihnen eigenen Musik, sie fehlen völlig und sind selbst in Italien rar geworden.

Der italienische Orgelsolist Paolo Bottini hat sich dieser Epoche angenommen und 2 CDs mit einer kleinen Auswahl aus dem großen Schaffenskomplex des viel berufenen und beschäftigten Organisten und Kapellmeisters Vincenzo Antonio Petrali (1830 – 1889) eingespielt an mehreren Linghiardi-Instrumenten in Trecate (NO, I), Palazzolo sull‘Oglio (BS) und Verolanuova (BS). Die Instrumente verfügen über zwei Teilwerke (Hauptwerk und Cassa Armonica im Schwellkasten) mit einem Tastenumfang von C – c4 und einem Pedalwerk von einer Oktave, besetzt mit mindestens Contrabassi mit seiner Oktave, Bombarde und Trombone, während die Manuale über reichhaltige Register wie Traversen, Streicher, Oboe Trombe, Fagotto und Contrafagotto, Corno inglese etc. verfügen. Dazu, und das ist das singuläre Merkmal dieser Instrumente zahlreiche Kombinationstritte, mit denen einzelne oder eine Kombination von Registern abgerufen werden können. Selbstverständlich sind natürlich Campanelli, Rullante (Donner), Tam-tam, Grancassa (große Trommel im Schweller) und sowieso Koppeln und je eine freie Kombination. Mit all diesen Möglichkeiten wohlgemerkt auch im schnellen Wechsel umzugehen will gelernt sein. Dass dazu noch ein Registrant für die vielen Manubrien kommen muss, hört man der Aufnahme an, leider wird er im Booklet nicht namhaft gemacht.

So ist auf diesen Instrumenten natürlich Opernmusik vortrefflich darzustellen – und wer will leugnen, dass das hervorragende Musik ist – aber Petralis Musik geht über diese Musik, die es bei ihm auch gibt (immerhin zwei seiner Opern sind erhalten), hinaus. Es ist z.T. liturgisch gebundene Musik, Versetten in drei Messen zusammengefasst, die jede eine kleine eigene Welt bieten, z.T. sind es freie Werke auch von größerem Ausmaß wie eine Sinfonia, z.T. sind es Beispielstücke von kurzer Dauer wie die Studi per l’Organo moderno per il Ripieno und per l’organo semplivi. Das sind keine Charakterstücke nordeuropäischer Prägung, sondern wirklich Lehrstücke für Musik auf diesen Orgeln. Manches hat Anklänge an Jahrmarktsmusik, schließlich war Petrali jahrelang Leiter der Bandamusik in Crema. Aber nie ist diese Musik abgeschmackt, eher holt sich hier die Bandamusik höhere Weihen.

Petrali, aus einem Musikerhaus in Crema stammend, konnte schon als Elfjähriger nach wenigen Jahren häuslichen Musikunterrichts (Violine und Orgel) seinen Vater an der Orgel vertreten. Kompositionsunterricht bekam er von dem Domkapellmeister und Opernkomponisten von Cremona, Stefano Pavesi. 1849 wurde er Organist am Dom von Cremona, dort ab 1852 auch Kapellmeister, 1853 Organist an der Kirche Santa Maria Maggiore und Dirigent und Instrumentalist am Teatro Sociale in Bergamo, 1856 Domkapellmeister in Brescia und Dirigent am Teatro Carcano in Mailand, 1860 Domkapellmeister und Leiter der Banda Nazionale wieder in Crema, 1872 Organist und bald auch Kapellmeister an Santa Maria Maggiore und Lehrer für Gesang, Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt am örtlichen Liceo Musicale in Bergamo, 1882 ging er als Lehrer an das neu gegründeten Liceo Musicale Rossini in Pesaro. Anlässe für sein großes Repertoire an Kirchen- und Opernmusik gab es also genug.
Petrali wirkte auch als Orgelsachverständiger und pflegte eine besondere Zusammenarbeit mit der Orgelbaufirma Serassi in Bergamo. Hieraus entstand das dreibändige Lehrwerk 71 Studi per l'organo moderno. Als überragender Orgelvirtuose und als unerreichter Improvisator ist er in die Geschichte eingegangen.

Hoch zu loben, dass Paolo Bottini ihn mit der Einspielung der Messa Solenne in F und Teilen aus den Studi per l’organo moderno ein Denkmal setzt, das zweite nach Marco Ruggeri mit einem andere Programm beim selben Label. Bottinis Einführungstext im Booklet hätte da ruhig umfangreicher sein können. Der Umgang mit den drei Linghiardi-Instrumenten und der Musik von Petrali setzt hohe Virtuosität voraus, Bottini und sein Registrant werden diesen Anforderungen mühelos gerecht und setzen damit einen Maßstab wie ein Mahnmal für Musikhochschulen.

Rainer Goede
Dezember 2020 / März 2021

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